Kurbellänge im Bikefitting – Komfort, Leistung und Effizienz besser verstehen

Kurbellänge im Bikefitting – Komfort, Leistung und Effizienz besser verstehen

Nils Kehrberg

"Pogacar macht das!" Halleluja, endlich ein Trend aus dem Profi-Radsport, den ich unterstütze: Auf eine kürzere Kurbel wechseln. Auch, wenn die Vorteile von kürzeren Kurbeln schon ziemlich lange ziemlich gut belegt und seit Jahren in vielen Zeitschriften publiziert sind, bin ich doch froh, dass es inzwischen auch einige Profis machen. Denn dadurch wird unsere Empfehlung beim Bikefitting, auf eine kürzere Kurbel zu wechseln, deutlich seltener als exotisch aufgenommen. Das erspart mir mittlerweile Anrufe von Werkstätten, die sich weigern, eine kürzere Kurbel zu montieren mit den Worten: "So klein ist der gar nicht, dem montieren wir keine 160er Kurbel!". Die Körpergröße hat dabei ziemlich wenig mit der richtigen Kurbellänge zu tun, denn viel mehr bestimmen Sitzposition, Beweglichkeit und eventuelle Verletzungen oder Erkrankungen von Radfahrerin oder Radfahrer die Wahl der Kurbellänge.

Warum die Kurbellänge entscheidend ist

Die Kurbellänge beeinflusst die Beugung der Gelenke, den Bewegungsradius im Pedaltritt und die Hebelverhältnisse bei der Kraftübertragung. Sie ist daher ein zentrales Stellrad, wenn es um Schmerzfreiheit, Effizienz und die Wahl der optimalen Sitzposition geht - insbesondere bei Einschränkungen im Hüft- oder Kniegelenk.

Keine geringere Leistungsfähigkeit durch kürzere Kurbeln

Die gute Nachricht vorweg: Eine kürzere Kurbel führt nicht zu einem Leistungsverlust. Zahlreiche Studien zeigen, dass sich kürzere Kurbellängen nicht negativ auf die Leistungsfähigkeit oder den Energieverbrauch auswirken.

Vorreiter waren spanische Forscherinnen und Forscher, die Radsportlerinnen und Radsportler bei submaximaler Belastung (150 W, 200 W und 250 W) und unterschiedlichen Kurbellängen von 165 mm bis 175 mm strampeln ließen. Das Ergebnis: Weder Herzfrequenz noch Energieverbrauch änderten sich signifikant bei den verschiedenen Kurbellängen.

Auch eine ältere Studie mit einem noch breiteren Spektrum von 145–195 mm Kurbellänge kam zu einem ähnlichen Ergebnis: Die mechanische Effizienz blieb unabhängig von der Kurbellänge konstant.

Andere Studien beschreiben sogar einen Leistungsvorteil kürzerer Kurbeln und begründen diesen mit einer geringeren neuromuskulären Anforderung beim Pedalieren. Klingt erstmal stressig, ist aber eigentlich ganz leicht: Die Muskulatur muss über einen kürzeren Weg kontrahieren und das bei jeder Pedalumdrehung. Das ist für das Nervensystem mit einer kurzen Kurbel deutlich entspannter möglich als mit einer langen. Durch die verbesserte Effizienz ergibt sich der beschriebene Leistungsvorteil.

Höhere Trittfrequenz als angenehmer Nebeneffekt und nicht als notwendiges Übel

Ein weiterer Vorteil kürzerer Kurbeln liegt in ihrer Wirkung auf die Trittfrequenz. Auch wenn in der Literatur gelegentlich fälschlich angenommen wird, dass kürzere Kurbeln zu höheren Trittfrequenzen bei gleicher Übersetzung führen, bleibt die mechanische Übersetzung bei identischem Kettenblatt gleich. Stellt euch vor, ihr wechselt nur einen Kurbelarm. Auch dann kurbeln beide Kurbelarme gleich oft um das Tretlager. Die beobachtete Erreichung höherer Kadenzwerte basiert vielmehr auf der zuvor beschriebenen neuromuskulären Entlastung: Durch den kürzeren Bewegungsweg der Muskulatur fällt es dem Nervensystem leichter, schneller zu pedalieren. Das führt in der Praxis dazu, dass häufiger und früher geschaltet wird als beim Sonntagnachmittag-Quiz in der Eckkneipe. Das Zusammenspiel aus geringerem muskulären Aufwand pro Kurbelumdrehung und Schaltverhalten ermöglicht so eine angenehmere und effizientere Trittfrequenz. Erwarten dürft ihr Entspannung auf ganzer Linie.

Komfort steigern, Gelenkgesundheit verbessern

Ein weiterer Vorteil: geringere Gelenkbeugewinkel schonen Knie- und Hüftgelenke. Gerade bei Beschwerden wie Hüftimpingement oder Kniearthrose kann das spürbar entlasten und präventiv wirken. Habt ihr also Knieprobleme, die ihr einfach nicht in den Griff bekommt, hartnäckige Arthrose oder Hüftprobleme wie Impingement oder Dysplasie, tut euch und euren Kollagen-überzogenen Kalziumpfannen einen Gefallen und wechselt auf eine kürzere Kurbel.

Für wen sich kürzere Kurbeln besonders lohnen

  • Einsteiger*innen: profitieren durch leichtere Koordination und geringere muskuläre Belastung.
  • Sportler*innen mit Einschränkungen: weniger Beugung bedeutet mehr Komfort und Sicherheit.
  • Langstreckenfahrer*innen: kürzere Kurbeln ermöglichen eine offenere Sitzposition und verringern Ermüdung.

Eine Studie zeigte sogar: Kurbellängen von 145 mm führten bei Einsteiger*innen zu einer bis zu 5,5 % höheren Leistung im Vergleich zur Standardkurbel mit 175 mm. Wenn du also mit einer 180er Kurbel oder länger unterwegs bist (🙏Gott bewahre🙏) denk über eine kürzere Kurbel nach.

Ausnahme: Sprint & Kriterium

In sehr kurzen, intensiven Rennformaten wie Sprints oder Kriteriumsrennen können längere Kurbeln durch den größeren Hebel Vorteile bringen. Die Explosivkraft beim Zielsprint kann hier entscheidend sein. Dennoch: Auch in diesen Disziplinen ist die Sitzposition nicht zu vernachlässigen und kürzere Kurbeln erlauben eine aggressivere Aeroposition und das Durchpedallieren in Kurven.

Häufige Fragen zur Kurbellänge

  • Habe ich Schmerzen oder Einschränkungen in Knie oder Hüfte?
    → Kürzere Kurbel
  • Mache ich eher lange und gleichmäßige Ausfahrten?
    → Kürzere Kurbel
  • Fahre ich kurz und explosiv – etwa Sprints oder Kriterien?
    → Längere Kurbel eventuell sinnvoll aber auch hier Hüfte, Knie und Kurvenfahrten nicht vergessen
  • Ich habe meine Kurbel gewechselt – muss ich etwas anpassen?
    → Ja. Sitzhöhe muss bei einer Verkürzung der Kurbel nach oben wandern
  • Passt jede Kurbellänge an jedes Rad?
    → Nicht unbedingt. Frag im Zweifelsfall bei der Mechanikerin deines Vertrauens nach

Fazit

Kürzere Kurbeln bedeuten nicht weniger Leistung, im Gegenteil: Sie können den Komfort, die Effizienz und die Gelenkgesundheit verbessern und sich so positiv auf die Leistung auswirken. Besonders für Einsteiger*innen, Langstreckenfahrer*innen oder Personen mit Knie- und Hüftproblemen ist die kürzere Kurbel eine sinnvolle Sache. Deshalb gehört die Kurbellänge immer in die Analyse eines fundierten Bikefittings. So lässt sich objektiv klären, welche Länge für deine Ziele und Anatomie ideal ist ... wahrscheinlich eine kurze.

 

📄 Wissenschaftlich fundiert

Burrus, B. M., Armendariz, J., & Moscicki, B. M. (2021).
Cycling with short crank lengths improved economy in novices.
International Journal of Exercise Science, 14(1), 1123–1137.

Garcia-Lopez, J., Ferrer, V., Rivero Palomo, V., & Ogueta-Alday, A. (2017).
Acute effects of small changes in crank length on gross efficiency and pedalling technique during submaximal cycling.
Journal of Sports Sciences, 35(14), 1328–1335.

McDaniel, J., Durstine, J. L., Hand, G. A., & Martin, J. C. (2002).
Determinants of metabolic cost during submaximal cycling.
Journal of Applied Physiology, 93(3), 823–828.

Park, S., Roh, J., Hyeong, J., & Kim, S. (2022).
Effect of crank length on biomechanical parameters and muscle activity during standing cycling.
Journal of Sports Science, 40(2), 185–194.

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